Wo mache ich meine Kreuze bei der Wahl für den Gemeinderat? Vor dieser Frage stehen die Wähler wieder am 9. Juni. Um die Entscheidung vorausschauend zu treffen, hilft oft der Blick zurück. Was haben die Parteien und Wählervereinigungen bewirkt, wo sind sie mit der Umsetzung ihrer Wahlversprechen gescheitert?

Der SÜDKURIER hat die Fraktionen im Gemeinderat Villingen-Schwenningen angeschrieben und ihnen gleichlautende Fragen gestellt. Die Antworten haben wir redaktionell bearbeitet.

1. Was war die wichtigste Debatte für Ihre Fraktion?

Die wichtigste, weil weitreichendste Debatte betrifft jedes Jahr das zur Verfügung stehende Budget im Haushalt. „Wir haben mitunter das Gefühl, dass unsere Stadtverwaltung zunehmend auf eine Effizienz-Katastrophe zusteuert“, stellt der Fraktionsvorsitzende Andreas Flöß fest. Die Personalkosten liegen nun bald bei 100 Millionen Euro, zukünftig dann jedes Jahr.

Andreas Flöß (49) ist der Vorsitzende der Freien Wähler-Fraktion im Gemeinderat.
Andreas Flöß (49) ist der Vorsitzende der Freien Wähler-Fraktion im Gemeinderat. | Bild: Stadler, Eberhard

Die Verwaltung lebe offenbar in einer eigenen Welt. Sie argumentiere: „Unsere Aufgaben wachsen … wir brauchen mehr Stellen“. Dies stehe im krassen Gegensatz zur freien Wirtschaft, zur reellen und erlebten Arbeitswelt der Bürger, dem Steuerzahler, welchem die Verwaltung zu gutem und kosteneffizientem Dienst verpflichtet sei. Flöß: „Sparen muss die Verwaltung selbst, und zwar bei sich.“

2. Welches Thema führte innerhalb Ihrer Fraktion zu den heftigsten Diskussionen?

Üblicherweise sind es meist emotionalen Themen wie die Stolpersteine. „Es waren aber auch Themen wie die Erhöhung von Kitagebühren, wo für uns klar ist, dass wir hier zukünftig keinen weiteren Erhöhungen mehr zustimmen werden“, so der Fraktionsvorsitzende.

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Ebenfalls führte eine mögliche städtische Umnutzung des Rössle-Areals bei den Freien Wählern zu großen Diskussionen. Sie macht laut Flöß nur dann Sinn, wenn Teile der Stadtverwaltung inklusive den Bibliotheken von Stadt und Hochschule dort einziehen und über Einsparungen bisheriger Mietzahlungen gegenfinanziert werden. Und: „Die Frage über den richtigen Umgang mit der Schwenninger Kulturlandschaft ist ebenfalls ein Diskussionspunkt.“

Die Gesichter der Freien Wähler im Gemeinderat
Die Gesichter der Freien Wähler im Gemeinderat | Bild: SK-Grafik

3. Wo lagen für Ihre Fraktion die Schwerpunkte in den vergangenen fünf Jahren?

Die Freien Wähler legten besonderen Wert auf die Themen Bildung, aktiven Klimaschutz, die Stärkung von Handel, Gewerbe und Industrie sowie der Infrastruktur inklusive Digitalisierung. „Wir haben einen Antrag zum beschleunigten Ausbau weiterer Gewerbegebiete eingebracht – Firmen dürfen dem Oberzentrum nicht den Rücken kehren, weil sie keine geeigneten Bauplätze finden“, so der Fraktionschef.

Blick auf das Industriegebiet Salzgrube am Nordring. Allmählich gehen der Stadt die Gewerbeflächen aus. Die Freien Wähler fordern, dass ...
Blick auf das Industriegebiet Salzgrube am Nordring. Allmählich gehen der Stadt die Gewerbeflächen aus. Die Freien Wähler fordern, dass sich die Stadt rechtzeitig um die Ausweisung neuer Flächen kümmert. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Klimaschutz solle pragmatisch und umsetzbar gelöst werden. „Bevor wir wie andere nach neuen Stellen insbesondere für Klimamanager rufen, war unserer Ansatz ein anderer: Die jeweiligen Amtsleiter müssen automatisch Klimamanager sein. Jeder einzelne Mitarbeiter muss Klimamanager sein. Jeder einzelne Gemeinderat muss Klimamanager sein“, erläutert Flöß.

4. Was war der größte Erfolg für Ihre Fraktion?

Die Fraktion hat über mehrere Legislaturperioden die Abgabe des Jugendamtes an den Kreis gefordert. Nunmehr liege das Ergebnis auf dem Tisch: „Das Jugendamt ist beim Landkreis und der macht seine Arbeit hervorragend“, stellt die Fraktion fest.

Die Abgabe des städtischen Jugendamtes an den Landkreis 2023 sehen die Freien Wähler als richtigen Schritt.
Die Abgabe des städtischen Jugendamtes an den Landkreis 2023 sehen die Freien Wähler als richtigen Schritt. | Bild: Stadler, Eberhard

Weiterhin wurde auf Initiative der Freien Wähler „die völlig überteuerte und unnötige Straßenanbindung Ost im Schwenninger Industriegebiet gestoppt“. In den Teilorten konnte die Schließung von Schulen verhindert werden. Zu den Erfolgen zählt der Fraktionsvorsitzende auch den Antrag auf verlängerte Außenbewirtung der Gastronomie.

5. Was war die größte Niederlage?

Die Freien Wähler bedauern, dass die Mehrheit im Gemeinderat die Verwaltungsvorlage für eine Sozialwohnbaugesellschaft im Oberen Brühl im Stadtteil Villingen zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum abgelehnt hat. Eine echte Niederlage sei: „Die Tatsache, dass V und S scheinbar noch immer nicht zusammengewachsen sind – wie die Diskussion um den von uns eingebrachten Weihnachtsmarktstandort eindrücklich unterstreicht“, kritisiert Flöß.

Mit ihrer Forderung, in VS künftig nur noch einen Weihnachtsmarkt auf dem Münsterplatz abzuhalten, ernteten Freien Wähler viel Gegenwind.
Mit ihrer Forderung, in VS künftig nur noch einen Weihnachtsmarkt auf dem Münsterplatz abzuhalten, ernteten Freien Wähler viel Gegenwind. | Bild: Hans-Jürgen Götz

6. Wo sieht Ihre Fraktion noch dringenden Handlungsbedarf?

Die angefangenen kontinuierlichen Straßensanierungen mit zwei Millionen Euro jährlich sollten nach Ansicht der Fraktion auf das Doppelte aufgestockt werden, damit schneller ein spürbarer Fortschritt erlebbar wird. Der Ausbau der Wärmenetzplanung sollte dringend im Zuge der Sanierungen der Straßen ausgeführt werden.

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Im Stellenplan der Verwaltung seien Einsparungen „zwingend nötig“. Hiervon ausnehmen will die Fraktion aber „alle Stellen im betreuenden Bereich“. Weiterer Punkt: Das Oberzentrum müsse als solches auch erlebbar sein. „Es bedarf weiterer überregionaler Attraktionen und Alleinstellungsmerkmale.“

7. Welche Themen brachte die Fraktion selbst auf die Agenda?

Die „Abgabe Jugendamt an den Kreis“ hatten die Freien Wähler bereits 2021 per Antrag gefordert. Die Gründung eines Gestaltungsbeirates zur verträglichen Einbindung von neuen Bauprojekten in die bestehende Baustruktur ging ebenfalls auf einen Antrag der Freien Wähler zurück. Ebenso die Anträge auf beschleunigten Ausbau von digitalen Ampelanlagen für schnellen und fließenden Verkehr sowie das Thema „Handy-Parken“ – ein Antrag zur digitalen Zahlung von Parkgebühren über das mobile Telefon.

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Weitere Anträge der Fraktion forderten das Bauen mit Holz (nachhaltiges Bauen) bei städtischen Gebäuden, die Förderung von Balkon-Photovoltaik-Anlagen und die Nutzung von Abwasserwärme bei städtischen Großkanälen sowie ein Antrag zur Gründung einer Bürgergenossenschaft für Photovoltaikanlagen.

8. Wo würden Sie sparen, und wo auf keinen Fall? Sehen Sie eine Höchstgrenze bei der Verschuldung?

Eine neue Schuldenaufnahme von nunmehr im Doppelhaushalt genehmigten nahezu 175 Millionen Euro bis im Jahr 2028 ist nach Ansicht der Fraktion „gerade noch erträglich“. Es sei zum guten Glück gelungen, die Tilgungsrate der Schulden von zwei auf drei Prozent anzuheben, um eine gewissen Generationengerechtigkeit zu erzeugen. „Die permanenten Wünsche hinsichtlich Doppelvorhaltungen von infrastrukturellen Gebäuden in unserer angeblich gemeinsamen Stadt sind langsam aber sicher unerträglich“, erklären die Freien Wähler.

Die Sanierung von Schulen, wie hier der Klosterringschule, aber auch von Kindergärten, stehen bei den Freien Wählern ganz weit oben.
Die Sanierung von Schulen, wie hier der Klosterringschule, aber auch von Kindergärten, stehen bei den Freien Wählern ganz weit oben. | Bild: Eberhard Stadler_

Die Stadt dürfe nicht handlungsunfähig werden und die vorhandene Infrastruktur wie Schulen, Kindergärten, Wege, Plätze und Straßen „sind weiterhin auf Stand zu halten“. Für das Theater am Ring müssten jederzeit Mittel bereitstehen, wenn es denn saniert werden müsste.

9. Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister? Wie mit dem Baubürgermeister?

Die Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister „empfanden wir als sachlich, zielorientiert und umsetzungsschnell“, konstatiert Flöß. Es müsse eben mit dem Personal gearbeitet werden, was zur Verfügung steht.

Beim Baubürgermeister dürfe es „keine Vollkasko-Politik“ geben. Flöß: „Wir brauchen mutige und zielführende Entscheidungen.“ Fazit: „Wir waren im vergangenen Jahr nicht zufrieden mit diversen Baumaßnahmen, mit der Abwicklung diverser Baumaßnahmen. Wir verlieren Geld, wir verlieren Zeit.“

Baubürgermeister Detlev Bührer: Mit den Abläufen in seinem Dezernat sind die Freien Wähler nicht immer zufrieden.
Baubürgermeister Detlev Bührer: Mit den Abläufen in seinem Dezernat sind die Freien Wähler nicht immer zufrieden. | Bild: Hans-Juergen Goetz

10. Welche drei Themen sind für die Fraktion in der kommenden Legislaturperiode wichtig?

  • Infrastruktur: Schulen und die dazugehörige Digitalisierung sowie Kindergärten sind zwingend und fortlaufend auf Stand zu halten. Sicherheit und Sauberkeit dürfen keine Diskussion sondern müssen selbstverständlich sein.
  • Verwaltungseffizienz: Wir können nicht für jede Tätigkeit eine Person einstellen. Das muss fließend gehen, es muss selbstverständlich werden und muss laufen wie in einem Unternehmen. Die Stadt muss besser rechnen. Der Mitarbeiter muss besser rechnen.
  • Bauen: Mehr und bessere Kita-Plätze zu günstigeren Gebühren. Schnelles Handeln von Hoch- und Tiefbauamt, schnellere Straßenbelagssanierungen, Gründung einer Sozialen Wohnungsbaugesellschaft für bezahlbaren Wohnraum, Schaffung einer räumlichen Lösung für die Verwaltung in Schwenningen und Lösungen für die VHS, Bibliothek und Galerie.